Forschungsüberblick und Schlussfolgerungen für Beratungskontexte
Sonja Bröning, Rahel Korinth & Agostino Mazziotta
Beratung aktuell, 26(1), 2025, 15–33
https://doi.org/10.30820/1437-3181-2025-1-15
beratung-aktuell.de | besserlieben.de/beratung-aktuellAbstract: Die Art und Weise, wie Menschen Liebes- und Sexualbeziehungen gestalten, hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich gewandelt. Während monogame Partnerschaften lange als gesellschaftliche Norm galten, gewinnen alternative Beziehungsformen wie Polyamorie zunehmend an Bedeutung.
Dieser Beitrag gibt einen umfassenden Überblick über die aktuelle Forschung zu Konsensueller Nicht-Monogamie (KNM). Er beleuchtet die Verbreitung und gesellschaftliche Akzeptanz, stellt verschiedene Beziehungsmodelle vor und analysiert empirische Befunde zu Wohlbefinden, Beziehungszufriedenheit und Herausforderungen innerhalb polyamorer Beziehungen. Zudem wird die Rolle von Bindungssicherheit und Kommunikation diskutiert. Ein zusätzlicher Fokus liegt auf den Erfahrungen von Kindern in polyamoren Familienstrukturen, für die es bislang nur begrenzte empirische Daten gibt.
Abschließend werden praxisnahe Schlussfolgerungen für die Beratung von Menschen in KNM-Beziehungen gezogen. Der Beitrag verdeutlicht, dass Polyamorie weder pauschal als idealisiertes noch als problematisches Beziehungsmodell betrachtet werden sollte, sondern einer differenzierten, wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung bedarf.
Die Art und Weise, wie Menschen ihre Liebes- und Sexualbeziehungen gestalten, hat sich in den letzten Jahrzehnten tiefgreifend verändert. Gesellschaftliche Entwicklungen wie Säkularisierung, Pluralisierung und wachsende Bedeutung persönlicher Selbstverwirklichung haben traditionelle Beziehungsnormen herausgefordert. Partnerschaften sollen heute nicht nur emotionale Sicherheit bieten, sondern zugleich persönliche Entfaltung, sexuelle Erfüllung und lebenslange Beständigkeit ermöglichen. Gleichzeitig sind Trennungen und Scheidungen gesellschaftlich akzeptierter und einfacher geworden. Dies stellt langfristige Beziehungen vor Herausforderungen, wie die konstant hohen Trennungsraten zeigen (Roesler & Bröning, 2024). Parallel dazu gewinnen alternative Beziehungsmodelle zunehmend an Sichtbarkeit. Während monogame Partnerschaften historisch als Standard galten, rücken nun Konzepte wie Polyamorie, offene Beziehungen oder Beziehungsanarchie verstärkt in den öffentlichen Diskurs. Besonders in queeren und feministischen Kontexten wurden solche Modelle schon lange erprobt, doch erst in den letzten Jahren treten sie aus der gesellschaftlichen Nische heraus. Der Einfluss sozialer Medien, populärkultureller Darstellungen und Dating-Apps wie Tinder oder Bumble trägt dazu bei, alternative Beziehungskonzepte zu normalisieren und neue Begriffe wie Situationship in den Mainstream zu bringen.
Umfragen in Deutschland deuten auf eine wachsende Offenheit gegenüber konsensuell nicht-monogamen (KNM) Beziehungsformen hin (ElitePartner, 2023; Parship, 2023). Besonders unter jungen Erwachsenen und in urbanen Milieus wird Polyamorie teilweise als zeitgemäßes Ideal gesehen. Gleichzeitig ist KNM mit Herausforderungen verbunden, die sich sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene zeigen. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die aktuelle Forschungslage zu KNM-Beziehungen. Dabei gehen wir auf die Verbreitung und gesellschaftliche Akzeptanz ein, beleuchten verschiedene Beziehungsmodelle, analysieren empirische Befunde zum Wohlbefinden in KNM-Beziehungen und widmen uns schließlich der Frage, welche Herausforderungen für Kinder in polyamoren Familienstrukturen bestehen. Abschließend ziehen wir Schlussfolgerungen für die Beratungspraxis.
In soziologischen und feministischen Veröffentlichungen (z. B. Klesse, 2018) wird KNM als eine Möglichkeit diskutiert, sich dem Druck lebenslanger (heterosexuellen) Monogamie-Norm zu lösen. Der Anspruch auf exklusive Treue könne patriarchalische Machtstrukturen stabilisieren und hohe Erwartungen an die Verfügbarkeit und Kompromissbereitschaft von Beziehungspersonen erzeugen – insbesondere an Frauen. KNM-Beziehungen böten die Möglichkeit, diese fest gebahnten normativen Wege zu verlassen, um neue Werte jenseits traditioneller Geschlechterrollen einzuüben wie Augenhöhe und Gleichberechtigung, Fürsorge und freundschaftliches Miteinander in größeren Gemeinschaften.
Gleichzeitig werden auch potenzielle Risiken nicht-monogamer Beziehungsmodelle thematisiert. So können Bindungen durch begrenzte strukturelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen instabiler und fragiler sein (Kauppi, 2021). Zudem besteht die Gefahr, dass sich patriarchalische Muster im neuen Gewand fortsetzt – etwa, wenn Care-Arbeit umgangen oder wirtschaftlich abhängige Frauen in die (unfreiwillige) Nicht-Monogamie gedrängt werden. In konservativeren Kontexten führt ein offenes Bekenntnis zur Nicht-Monogamie häufig zu gesellschaftlicher Stigmatisierung, da solche Beziehungsformen als »amoralisch« oder »defizitär« wahrgenommen werden (Thompson et al., 2018). Weitere kritische Stimmen verweisen auf negative Erfahrungen mit nicht-monogamen Lebensmodellen. Verletzungen entstehen nicht nur durch ungleiche Bedürfnisse, sondern auch durch sozialen oder partnerschaftlichen Druck, sich auf KNM-Konstellationen einzulassen. Die Diskrepanz zwischen dem idealisierten Ethos der Polyamorie (»Liebe wird nicht kleiner, wenn man sie teilt«) und der praktischen Umsetzung zeigt sich bereits in früheren Versuchen nicht-monogamer Lebensweisen, etwa in den 1970er Jahren.
Es kann vielfältige Gründe für das Führen einer KNM-Beziehung geben. Hnatkovičová und Bianchi (2022) identifizierten in ihrer Studie acht Motive unter ihren polyamor lebenden Proband*innen: Persönliches Wachstum und Autonomie, Erfüllung von Bedürfnissen, die in einer monogamen Beziehung nicht erfüllt werden, Identitätsentwicklung in der Polyamorie, Ausdruck politischer Werte, Erforschung von Minderheitenidentitäten (sexuelle Fluidität und Bisexualität), Wunsch nach sexueller Vielfalt, Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft und psychodynamische Gründe.
Genauso vielfältig wie die Motive sind KNM-Beziehungsformen. Sie unterscheiden sich erheblich in ihren Organisationsformen, Dynamiken und zugrunde liegenden Prinzipien. Während konsensuelle Nicht-Monogamie als Oberbegriff zahlreiche Beziehungsmodelle umfasst, rückt die Forschung und therapeutische Praxis insbesondere Polyamorie in den Fokus. Dies liegt möglicherweise daran, dass Polyamorie als Beziehungsmodell besonders auf emotionale Nähe und langfristige Bindungen setzt, während andere KNM-Formen, wie offene Beziehungen oder Swinging, oft stärker auf sexuelle Aspekte fokussiert sind. In der Polyamorie erlauben sich Menschen in festen Beziehungen gegenseitig, nicht nur Sexualität, sondern auch Romantik und Liebe mit weiteren Menschen zu teilen. Dies sieht in der Praxis sehr verschieden aus. Die Beziehungsstruktur polyamor lebender Menschen wird als Polykül bezeichnet – eine Anlehnung an ein Molekül, das aus mehreren miteinander verbundenen Elementen besteht. Ein Polykül beschreibt ein Netzwerk aus Beziehungspersonen, das entweder offen für neue Partner*innen oder geschlossen sein kann. Die Struktur eines Polyküls variiert: Manche bestehen aus Triaden (drei Personen) oder Quads (vier Personen), während andere größere, komplexe Netzwerke bilden. Einige Polyküle sind hierarchisch organisiert, wobei primäre Partner*innen zusammenleben, finanzielle Verantwortung teilen oder Kinder erziehen, während sekundäre Partner*innen eine weniger zentrale Rolle haben (Balzarini et al., 2019). Andere bevorzugen eine gleichberechtigte Struktur ohne feste Hierarchien. Polyamore Beziehungen sind oft dynamisch und können sich im Laufe der Zeit verändern – von Freundschaften zu romantischen Partnerschaften, von losen Verbindungen zu stabilen Gemeinschaften oder gemeinsamen Wohnprojekten (Vaughan & Burnes, 2022). Viele polyamore Menschen definieren Familie über traditionelle Strukturen hinaus und beziehen nicht nur direkte Partner*innen, sondern auch Metamours (die Partner*innen ihrer Partner*innen) sowie enge Freund*innen aktiv in ihr Beziehungsnetz ein.
Neben Polyamorie existieren weitere KNM-Beziehungsmodelle mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Offene Beziehungen erlauben sexuelle Kontakte außerhalb der Hauptpartnerschaft, ohne dass tiefere emotionale Bindungen angestrebt werden. Swinging beschreibt sexuelle Begegnungen mit anderen, meist in speziell dafür vorgesehenen Räumen wie Swingerclubs, häufig gemeinsam als Paar. Eine Zwischenform stellt die Mono-Flexibilität dar – eine grundsätzlich monogame Beziehung, die jedoch unter bestimmten Bedingungen Ausnahmen zulässt. Hierzu zählen beispielsweise Praktiken wie Cuckolding, bei dem eine Person bewusst zulässt, dass ihr Partner sexuelle Erlebnisse mit Dritten hat – oft mit der Möglichkeit, dies zu beobachten oder davon zu erfahren. Was all diese Beziehungsmodelle eint, ist ihr konsensueller Charakter. Im Gegensatz zu Affären oder heimlicher Untreue erfolgen emotionale und sexuelle Außenkontakte nicht verdeckt, sondern in Offenheit, gegenseitigem Einverständnis und mit klaren Absprachen (Scoats & Campbell, 2022). Genau dieser Aspekt stellt Berater*innen vor neue Herausforderungen: Statt um den Umgang mit Betrug und Vertrauensbruch geht es in der Begleitung von Personen in KNM-Beziehungen darum, Aushandlungsprozesse zu unterstützen, Eifersucht und Ängste zu managen, Fehlentwicklungen vorzubeugen und Paare oder Einzelpersonen in der bewussten Gestaltung alternativer Beziehungsmodelle zu begleiten.
Die Verbreitung von KNM-Beziehungen ist schwer zu erfassen, da sich die Forschungslage je nach Region und Methodik unterscheidet. Schätzungen zufolge haben etwa 4–5 % der Menschen in ihrem Leben bereits eine nicht-monogame Beziehung geführt (Fairbrother et al., 2019; Haupert et al., 2017). Für Deutschland gibt es bislang nur begrenzte Daten. Unveröffentlichte Ergebnisse der GeSiD-Studie zeigen, dass derzeit lediglich 1–2 % der Befragten in einer KNM-Beziehung leben. Andere Befragungen liefern jedoch höhere Zahlen: In einer Umfrage mit 6.763 Erwachsenen gaben 14 % der Männer und 7 % der Frauen an, bereits Erfahrungen mit einer offenen Beziehung gemacht zu haben (ElitePartner, 2023). Zudem zeigten sich 17 % der Teilnehmenden grundsätzlich offen für eine nicht-monogame Beziehungsform – wobei Männer tendenziell aufgeschlossener waren als Frauen. Auch Online-Dating-Plattformen bestätigen das wachsende Interesse an alternativen Beziehungsmodellen: Eine Umfrage mit 1.009 Personen ergab, dass 35 % sich eine offene Beziehung vorstellen konnten, während 27 % Polyamorie als eine attraktive Option betrachteten (Parship, 2023). Besonders junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren sowie queere Gemeinschaften sind offener für nicht-monogame Beziehungsmodelle (Bröning & Mazziotta, 2024; Haupert et al., 2017). Neuere Studien zeigen, dass mehr als 50 % der bi+sexuellen (z. B. bisexuell, pansexuell, plurisexuell) und genderqueeren Personen bereits Erfahrungen mit KNM-Beziehungen gemacht haben (Korinth et al., 2024; Korinth & Bröning, 2025, in Vorb.).
In bisherigen Forschungsarbeiten weisen Menschen in KNM-Beziehungen in Zufriedenheit, Bindung und Kommunikation vergleichbare Werte wie monogame Paare auf (Gupta et al., 2024). Dieses Ergebnismuster replizierten wir auch in Deutschland mit bi+sexuellen Personen (Korinth & Bröning, 2025, in Vorb.): Die subjektive Beziehungsqualität unterschied sich nicht zwischen monogamen und nicht-monogamen Teilnehmenden, jedoch berichteten Letztere über eine höhere sexuelle Zufriedenheit. Neben der Verfügbarkeit weiterer Sexualpartner*innen ist dies möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass über Sexualität und Bedürfnisse bei polyamor lebenden Menschen zwangsläufig mehr gesprochen wird. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch erfüllt werden. Interessanterweise nahm in dieser bi+sexuellen Stichprobe bei monogam lebenden Personen die Beziehungsqualität mit zunehmender Beziehungsdauer ab, während sie in nicht-monogamen Beziehungen stabil blieb. Die Antworten auf unsere offenen Fragen deuteten darauf hin, dass dies für Bi+Menschen auch mit der Möglichkeit zusammenhing, Sexualität mit mehreren Geschlechtern leben zu können. Menschen in KNM-Beziehungen berichten häufig eine besonders hohe Bindungssicherheit, persönliches Wachstum und Compersion, d. h. die Freude daran, das Glück ihrer Partner*innen zu teilen. (Bricker & Horne, 2007; Moors et al., 2015; Morrison et al., 2013). Allerdings beeinflusst die Position in der Beziehungsstruktur das Sicherheitsempfinden: Menschen in KNM-Konstellationen fühlen sich in primären Beziehungen oft sicherer als in sekundären Beziehungen. Primäre Beziehungen, die häufig auch gleichzeitig Nestpartner*innen, d. h. zusammenlebende Beziehungspersonen meinen, dienen häufiger als emotionaler Anker, gestützt durch gemeinsame Verpflichtungen, längere Beziehungsdauer und mehr geteilte Zeit (Bröning et al., 2024).
Eine eigene qualitative Interviewstudie (Bröning et al., 2024) deutet ebenfalls auf eine hohe Beziehungsqualität und Bindungssicherheit in polyamoren Beziehungen hin. Sie bestätigte den Befund anderer Untersuchungen, dass Bindungssicherheit, d. h. die Fähigkeit, sowohl emotionale Nähe als auch Autonomie in nahen Beziehungen gut zu navigieren, für das Führen von KNM-Beziehungen besonders zentral sein könnte. So zeigten in den Untersuchungen von Moors und Kolleg*innen (2015, 2017) Menschen mit eher vermeidendem Bindungsstil positive Einstellungen gegenüber KNM, waren aber in der KNM lebenden Gruppe unterrepräsentiert (Katz & Katz, 2022; Moors et al., 2015). Dies war für Menschen mit ängstlichem Bindungsstil nicht der Fall, obwohl auch sie KNM häufig tendenziell kritischer gegenüberstanden. Da in KNM mehrere emotionale und sexuelle Beziehungen parallel bestehen, können Ängste und Ambiguitäten entstehen, die bei ausgeprägter Bindungsängstlichkeit schwer zu regulieren scheinen. Sichere Bindungen, Selbstbewusstsein und kognitive Flexibilität erleichtern den Umgang mit derlei Herausforderungen (Bröning et al., 2024).
Eine offene und ehrliche Kommunikation wird für das erfolgreiche Führen einer KNM-Beziehung als essenziell betrachtet (Vaughan & Burnes, 2022). Sie setzt Klarheit über eigene Bedürfnisse und Grenzen, Selbstregulationsfähigkeiten und ausgeprägte Kommunikationskompetenzen voraus. Ob eine KNM-Beziehung als bereichernd oder belastend empfunden wird, hängt außerdem auch von persönlichen Eigenschaften, Motiven und Beziehungsstrategien ab (Gupta et al., 2024; Mogilski et al., 2021). Menschen mit hoher Offenheit für neue Erfahrungen, sex-positiver Einstellung und starkem sexuellen Verlangen stehen KNM oft positiver gegenüber (Moors et al., 2017). Personen mit hoher Soziosexualität – also größerer Offenheit für unverbindliche sexuelle Kontakte – fühlen sich in KNM-Beziehungen häufig wohler als in monogamen Partnerschaften (Rodrigues et al., 2018, 2019). Wer dagegen KNM aus äußeren Gründen wie sexueller Unzufriedenheit oder einer Fernbeziehung eingeht, empfindet sie oft als weniger erfüllend (Conley & Piemonte, 2021).
Gesellschaftliche Akzeptanz spielt eine große Rolle für das Wohlbefinden in polyamoren Konstellationen (Borgogna et al., 2021). Häufig sind KNM-Beziehungen mit Vorurteilen und gesellschaftlicher Stigmatisierung behaftet. Kritiker*innen halten sie für instabil oder für ungeeignet zur Kindererziehung (Lippmann et al., 2024). Menschen in solchen Beziehungen erleben daher sozialen Druck, der sich durch Faktoren wie Klasse oder Status noch verstärken kann (Schechinger et al., 2018). Die Minderheitenstress-Theorie beschreibt, wie Diskriminierung das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen kann (Meyer, 2003). Besonders LGBTIQ*-Personen berichten von erhöhtem Risiko für Gewalt in Beziehungen, geringerer Lebenszufriedenheit und schlechterer psychischer Gesundheit (Witherspoon & Theodore, 2021). KNM kann diesen Stress zusätzlich verstärken, da gesellschaftliche Vorurteile oft unbewusst internalisiert werden und so das Selbstbild negativ beeinflussen (Schechinger et al., 2018).
Gleichzeitig kann KNM auch als Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen erlebt werden. In einer Re-Analyse der bereits erwähnten Interviewstudie (Bröning, in Überarbeitung) zeigte sich die Bedeutung einer solchen empfundenen Autonomie. Die Studienteilnehmenden schätzten die Freiheit in ihren Beziehungen sowohl auf der individuellen Ebene, indem sie durch die KNM strukturelle und emotionale Verschmelzung vermieden, als auch auf der gesellschaftlichen Ebene, indem sie sich frei von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen fühlten. Sie erlebten sich als frei von der Einschränkung, auf eine standardisierte oder unauthentische Weise leben zu müssen oder die Fülle an Liebe und Gefühlen, die sie erlebten, zu unterdrücken. Auch Farrell (2022) unterstreicht die Tatsache, dass Polyamorie eine Möglichkeit ist, Autonomiebedürfnisse zu befriedigen, ohne bestehende Partner*innen abzuwerten oder zu verlassen, zum Beispiel im Falle sexueller Inkompatibilität. Die Interviewten schätzten auch die Freiheit von unrealistischen Erwartungen: Sie wollten nicht »der Monopolist« sein, d. h. »alles« für eine:n Partner:in, und sie wollten auch nicht von einem:r Partner:in abhängig sein, um alle dessen Bedürfnisse zu erfüllen.
Sehr wenig bekannt ist bislang über die Auswirkungen nicht-monogamer Beziehungen auf Familienstrukturen. Eine kanadische Studie zeigt, dass etwa ein Drittel der Menschen in KNM-Beziehungen mindestens ein minderjähriges Kind im Haushalt hat (Boyd, 2017). In Deutschland gibt es hierzu bislang jedoch kaum empirische Daten, so dass die Lebensrealität von Kindern in polyamoren oder offenen Familien noch weitgehend unerforscht bleibt. Insbesondere die psychosoziale Anpassung von Kindern in Familien mit nicht-monogamen Eltern ist bislang kaum untersucht. Qualitative Studien zeigen jedoch, dass polyamore Familien vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie Regenbogenfamilien bzw. Eltern, die einer sexuellen Minderheitengruppe angehörigen. Dazu gehören Probleme im Sorgerecht, die Frage, wann und wie ein Outing innerhalb der Familie und im sozialen Umfeld erfolgt, sowie Unsicherheiten bezüglich der gesellschaftlichen Akzeptanz (Mazziotta et al., 2024; Goldfeder & Sheff, 2013). Besonders herausfordernd ist schon die Suche nach geeigneten Bezeichnungen für Co-Eltern, ein Thema, das auch gleichgeschlechtliche Eltern betrifft. Häufig erschwert der Mangel an etablierten Vorbildern für sexuelle Minderheiten das Verständnis und die Anerkennung nicht-monogamer Familienstrukturen auch innerhalb der eigenen Herkunftsfamilie (Goldfeder & Sheff, 2013).
Studien unterscheiden verschiedene polyamore Familienformen. Manche ähneln in ihrer Dynamik Patchwork-Familien, wenn etwa Eltern, die in nicht-monogamen Beziehungen leben, keine Mehrelternschaft praktizieren und die Kinder vorrangig von den biologischen Eltern betreut werden (Raab, 2019). Andere versuchen, Kindererziehung auf mehrere Erwachsene aufzuteilen, was jedoch oft an fehlender rechtlicher und sozialer Anerkennung sowie an der Herausforderung scheitert, egalitäre Erziehungsmodelle in der Praxis umzusetzen.
Trotz solcher Herausforderungen zeigen Studien, dass Kinder aus polyamoren Haushalten oftmals von ihren vielfältigen sozialen und emotionalen Ressourcen profitieren. Die bisher einzige Langzeitstudie zu polyamoren Familien ergab, dass Kinder in queeren, polyamoren Haushalten reichlich physische, materielle und emotionale Unterstützung erhielten. Sie wurden als gesund und selbstbewusst beschrieben und berichteten rückblickend von Vorteilen wie der Fähigkeit, starke soziale Bindungen aufzubauen und Herausforderungen besser zu bewältigen (Sheff, 2014; Sheff et al., 2023). Eltern heben insbesondere die Vorteile einer offenen und ehrlichen Kommunikation hervor, die sich positiv auf die emotionale Entwicklung der Kinder auswirkt (Landry, Arseneau & Darling, 2021). Die größere Anzahl an Bezugspersonen innerhalb polyamorer Familien ermöglicht es im günstigen Fall, Erziehungsaufgaben flexibel zu verteilen, sodass Kinder von spezialisierten Rollen und unterschiedlichen Formen der Unterstützung profitieren können (Sheff, 2014). Gleichzeitig berichten einige Eltern von Herausforderungen, insbesondere wenn eine Bezugsperson nach einer Trennung aus dem Leben des Kindes verschwindet. In den meisten Fällen versuchen polyamore Eltern jedoch, frühere Partner*innen auch nach Beziehungsende weiterhin in die Kindererziehung einzubinden, um den Verlust für die Kinder zu minimieren (Sheff, 2014; Sheff et al., 2023).
Die Ergebnisse von Sheffs Forschung zu queeren polyamore Familien decken sich mit der Forschung zu Kindern von Eltern, die einer geschlechtlichen oder sexuellen Minderheit angehören. Diese zeigen keine systematischen Nachteile und weisen oft ähnliche oder sogar bessere psychosoziale Anpassungswerte auf als Kinder heterosexueller Eltern (APA, 2020; Zhang et al., 2023). Denn polyamore Familienstrukturen können bedeutende Vorteile bieten: Die kollektive Erziehung durch mehrere Bezugspersonen kann zu besseren Wohnbedingungen, höherer elterlicher Aufsicht und verbessertem Zugang zu Bildung und Ernährung führen. Diese positiven Effekte eines erweiterten elterlichen Unterstützungsnetzwerks sind in der Forschung dokumentiert (Liu et al., 2020; Sattler, 2022).
Vermutlich wird das Wohlbefinden der Kinder auch mit davon abhängen, wie offen die Eltern ihre KNM-Beziehungen leben. Das Verheimlichen wichtiger Aspekte der elterlichen Identität, etwa gegenüber der erweiterten Familie, könnte in bestimmten Entwicklungsphasen Stress erzeugen und als belastend empfunden werden (Meyer, 2003), vor allem wenn Kinder zu Geheimnisträger*innen werden. Eine weitere Herausforderung ist die Stigmatisierung durch die Gesellschaft, da KNM besonders negativ beurteilt wird, wenn Kinder involviert sind (Séguin, 2019). Viele Eltern befürchten, dass ein Outing ihre Kinder sozial isolieren oder sie Mobbing durch Gleichaltrige oder Familienmitglieder*innen aussetzen könnte (Landry, 2021; Pallotta-Chiarolli et al., 2020).
Tatsächlich gaben in Pallotta-Chiarollis (2006) Studie nur 30 % der 5.000 befragten Eltern an, ihre KNM-Beziehung gegenüber ihren Kindern offengelegt zu haben. Von diesen reagierten 45 % der Kinder positiv, 40 % neutral oder desinteressiert, während 15 % ablehnend waren – meist aufgrund gesellschaftlicher Normen und Reaktionen. Eine Interviewstudie von Alarie (2023) ergab zudem, dass Kinder oft Zurückhaltung oder Widerstand zeigten, wenn ihnen ein neuer, nicht im Haushalt lebender Partner oder eine Partnerin vorgestellt wurde. Ähnliche Anpassungsschwierigkeiten sind auch aus der Forschung zu Patchwork-Familien bekannt, da emotionale Nähe zwischen Kindern und neuen Bezugspersonen nicht automatisch entsteht (King et al., 2015). Letztlich kann das Wohlbefinden der Kinder in KNM-Familien entsprechend von mehreren Faktoren abhängen, wie von der gesellschaftlichen Akzeptanz, der Offenheit innerhalb der Familie und der Qualität der elterlichen Beziehungen.
Obwohl erste Studien Hinweise auf die Auswirkungen von KNM-Beziehungen liefern, fehlen umfassende Langzeituntersuchungen zu Entwicklungsverläufen im Poly-Kontext. So ist z. B. unklar, wie sich KNM-Beziehungen auf Erwachsene und Kinder über längere Zeit auswirken. Eine prospektive Studie zeigte, dass Personen in KNM-Beziehungen nach sieben Monaten größere sexuelle Fluidität und Veränderungen in ihrer Anziehungskraft erlebten als monogame Teilnehmende (Manley et al., 2015). Eine weitere Untersuchung beobachtete Menschen, die eine KNM-Beziehung eingingen, über zwei Monate und fand, dass sich ihre sexuelle Zufriedenheit signifikant steigerte, während ihre Lebenszufriedenheit und die Qualität der primären Beziehung unverändert blieben (Murphy et al., 2020). Weitere Längsschnittstudien zu den langfristigen sozialen und psychologischen Konsequenzen für polyamor lebende Erwachsene und ihre Familien liegen nicht vor. Auch wer langfristig von KNM profitiert, und wovon dies abhängt, bleibt aufgrund fehlender Forschungsdaten bislang unklar.
Die wachsende Nachfrage nach Fortbildungen zeigt, dass KNM-Beziehungen zunehmend Teil der Beratungspraxis werden. Schon lange vor der Einführung entsprechender Begriffe lebten Menschen ihre Beziehungen einvernehmlich offen – doch während dies früher selten in Beratungen thematisiert wurde, suchen heute immer mehr Menschen gezielt Unterstützung bei der bewussten Gestaltung ihrer KNM-Beziehungen. Die gesellschaftliche Norm der monogamen Ehe hat alternative Beziehungsmodelle lange delegitimiert. Nun verändert sich das gesellschaftliche Klima: Paar- und Beziehungsberatung wird zunehmend nicht mehr als Zeichen von Scheitern oder Störung verstanden, sondern als präventive Ressource für Beziehungsqualität. Besonders junge und queere Menschen – aber nicht nur sie – bringen Themen rund um Polyamorie und offene Beziehungen in die Beratung. Diese Entwicklung ist begrüßenswert, denn unabhängig vom Beziehungsmodell haben intime Beziehungen einen erheblichen Einfluss auf Wohlbefinden, psychische Gesundheit und Lebenszufriedenheit (Holt-Lunstad, 2022; Kamp et al., 2005). In jeder Liebesbeziehung stellen sich zentrale Fragen: »Wie wollen wir lieben?«, »Welche Bedürfnisse haben wir?« und »Wie gestalten wir Veränderungen?« Paar- und Beziehungsberatung bietet Raum, um diese Fragen bewusst zu reflektieren, Missverständnisse zu klären und Verletzungen zu verarbeiten.
Wenn Menschen in KNM-Beziehungen Beratung suchen, steht ihre Beziehungsform oft nicht im Mittelpunkt. Sie wird manchmal erst im Verlauf des Prozesses thematisiert – entweder, weil sie für das konkrete Anliegen unerheblich ist oder aus Sorge vor Ablehnung durch die Fachkraft. Entscheidend ist, dass Beratende nicht vorschnell die Beziehungsform in den Fokus rücken, nur weil sie gesellschaftlich seltener vorkommt. Dies kann zum Salienz-Effekt führen: Auffällige oder normabweichende Merkmale ziehen überproportional viel Aufmerksamkeit auf sich, auch wenn sie nicht ursächlich für das Problem sind. Dadurch besteht die Gefahr, Unsicherheiten, Kommunikationsprobleme oder strukturelle Belastungen fälschlicherweise primär auf die KNM-Beziehungsform zurückzuführen.
Wenn die Beziehungsform jedoch eine zentrale Rolle spielt, betreffen die häufigsten Anliegen (Kauppi, 2021): Ambivalenzen in der Beziehungsgestaltung (Öffnung oder Schließung der Beziehung?), Eifersucht und Unsicherheiten, Herausforderungen nach einer Öffnung, Klärung von Grenzen und Vereinbarungen, Ressourcenverteilung (Zeit, emotionale Zuwendung, finanzielle Mittel), Kommunikation mit Metamours sowie das Coming-out als nicht-monogam, insbesondere gegenüber Familie, Kindern oder dem sozialen Umfeld. Zwischenzeitlich liegen umfassende Fachveröffentlichungen zur Beratung von Menschen in KNM-Beziehungen vor (Neves & Davies, 2023; Kauppi, 2021; Mazziotta, 2021; Orion, 2018).
Unsere partizipative Forschung zu den Beratungs- und Therapieerfahrungen queerer und in KNM-Beziehungen lebender Menschen zeigt, dass sie in psychosozialen Angeboten sowohl hilfreiche als auch belastende Erfahrungen machen (Bröning & Mazziotta, 2024; Mazziotta & Bröning, 2024). Positiv wird insbesondere erlebt, wenn Fachkräfte interessiert und lernbereit sind, anstatt vorschnelle Annahmen über KNM zu treffen. Eine wertfreie, nicht-pathologisierende Haltung kann bereits entlastend wirken und dazu beitragen, dass sich Klient*innen verstanden und ernst genommen fühlen. Eine affirmative Anerkennung ihrer Identität und Beziehungsgestaltung stärkt das Vertrauen und fördert Offenheit im Beratungsprozess. Besonders hilfreich ist es, wenn Fachkräfte eigene Unsicherheiten im Umgang mit KNM reflektieren, sich weiterbilden und fundiertes Wissen zu nicht-monogamen Beziehungsmodellen mitbringen. Dabei kann es beispielsweise hilfreich sein, wenn Fachkräfte sich intensiv mit dem aktuellen Forschungsstand und den Bedürfnissen von Menschen in KNM-Beziehungen auseinandersetzen, Fortbildungen besuchen, Arbeitskreisen beitreten, sich mit KNM-spezifischen Netzwerken vernetzen und ihr erworbenes Wissen kontinuierlich im Kollegium weitergeben.
In der Beratung sollte das soziale Umfeld – insbesondere in polyamoren Familienstrukturen – berücksichtigt werden. So kann es sinnvoll sein, in Phasen des Outings von Eltern auch Familien- und Einzelgespräche mit den Kindern anzubieten. Ebenso hilfreich ist die Vermittlung zu weiterführenden Angeboten, wie Poly-Stammtische, Rechtsberatungen oder queere Fachberatungsstellen.
Es geht nicht nur darum, einen sicheren, sondern vor allem einen mutigen Raum – einen Brave Space – in der Beratung zu schaffen. Dieser ermöglicht es, schwierige, aber notwendige Gespräche respektvoll zu führen. Dazu gehört, Macht- und Abhängigkeitsdynamiken zu hinterfragen, divergierende Bedürfnisse zu erkunden und tragfähige Lösungen zu entwickeln, die immer wieder neu verhandelt werden. Dies erfordert von Klient*innen die Bereitschaft, sich dem Gegenüber zuzumuten – das eigene Wollen, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen klar zu benennen und gleichzeitig auszuhalten, dass die andere Person eine eigene, möglicherweise abweichende Perspektive hat. Beratende können hier wesentliche Beiträge zur Selbstklärung und -stärkung leisten. Auch bedeutet der Weg in die Polyamorie, Ambivalenzen zu akzeptieren, sich experimentell an neue Beziehungsformen heranzutasten und Wege jenseits etablierter Rollenvorbilder zu erproben. Hier sind Beratende aufgefordert, diesen Prozess möglichst empathisch und akzeptierend zu begleiten – mit Achtsamkeit, Offenheit, Neugier und der Bereitschaft, Unsicherheiten gemeinsam mit den Klient*innen auszuhalten.
Eine Haltung der informierten Naivität ist in der therapeutischen Arbeit empfehlenswert: Fachkräfte sollten über grundlegendes Wissen zu offenen Beziehungen, Polyamorie und anderen Formen von KNM verfügen, dabei aber keine vorschnellen Annahmen treffen oder normative Vorstellungen auf ihr Gegenüber übertragen. Vielmehr gilt es, gemeinsam die individuelle Innenwelt der Klient*innen zu erkunden: Was bedeutet es für sie, eine Beziehung zu öffnen? Welche Wünsche, Sehnsüchte und Identitätsaspekte sind damit verbunden? Welche Befürchtungen gibt es? Welche Dynamiken oder unausgesprochenen Erwartungen spielen eine Rolle? Auch eine Haltung des Nicht-Wollens ist wichtig: Es geht nicht darum, die Klient*innen in eine Richtung zu lenken, sondern ihre Autonomie und Selbstbestimmung konsequent zu respektieren. Das kann auch bedeuten, dass Paare nach einem längeren Beratungsprozess keine endgültige Entscheidung treffen – und kann auch für den Moment genau die richtige Entscheidung sein. Ebenso wichtig ist der Mut, Herausforderungen und mögliche Risiken einer Beziehungsöffnung offen anzusprechen. Eine zentrale Frage kann dabei sein: »Was verlieren wir als Paar, wenn wir die Beziehung öffnen?«
Berater*innen haben die Aufgabe, diesen mutigen Raum für ehrlichen Austausch zu schaffen – sei es, um Beziehungen zu klären, zu stärken oder eine respektvolle Trennung zu begleiten. Ein professioneller Reflexionsraum hilft, destruktive Muster zu vermeiden und Beziehungsmodelle, seien sie traditionell oder alternativ, konstruktiv zu gestalten. Wissenschaftliche Erkenntnisse können in der Suchbewegung in die Polyamorie als Orientierungshilfe dienen: Sie strukturieren die Debatte, bieten Sicherheit und helfen, relevante Fragen zu identifizieren. Auch wenn jede Beziehung einzigartig bleibt, kann fundiertes Wissen über Liebe, Bindung und Beziehungsgestaltung wertvolle Impulse für die individuelle Gestaltung geben. Ebenso wichtig ist das geschilderte Wissen für die Reflexion der Berater*innen selbst. Auch sie haben eine Beziehungsbiografie und beurteilen Aspekte wie sexuelle Positivität, Eifersucht, Macht, Konsens, den Umgang mit Geheimnissen, Kindererziehung etc. durch die Brille ihrer Erfahrungen. Um die Perspektive ihrer Klient*innen zu verstehen, können Kenntnisse über Diversität und queere Lebenswelten sehr hilfreich sein, wofür es mittlerweile einige Publikationen und auch (Online) Kurse gibt. Dagegen mangelt es noch an Ausbildungscurricula oder Material zu KNM, bis auf die genannten Fachbücher und die ebenfalls sehr lesenswerten Werke von Jessica Fern (Polysecure und Polywise). Eine eigene Buchpublikation dazu soll Ende 2025 erscheinen (Bröning & Mazziotta, in Vorb.). Angesichts des steigenden Interesses an der Polyamorie ist in diesem Bereich in den nächsten Jahren mit viel Bewegung zu rechnen.
Partnerschaften – ob monogam, monoflexibel oder polyamor – sind eine zentrale Ressource. Sie funktionieren am besten, wenn Partner*innen sich gegenseitig fundamentale Lebenswerte und Träume zugestehen, ohne einander gleichzeitig Alleinverantwortung für deren Erfüllung zuzuschieben. Dies lässt sich in besonderer Weise von KNM-Beziehungen lernen: Menschen in nahen Beziehungen, ob monogam oder nicht, können einander unterstützen und begleiten, können die besonderen Qualitäten ihrer Beziehungen würdigen. Doch letztlich ist in der Postmoderne jede*r Einzelne auch selbst dafür verantwortlich, das eigene Leben und die eigene Intimität so zu gestalten, dass es rückblickend stimmig erscheint. Die eigene Zukunft muss selbst erfunden, die wichtigen Zutaten individuell zusammengestellt und gelebt werden – je nach Lebensphase, Möglichkeiten und Begrenzungen. Die Balance mit den Wünschen des Gegenübers zu finden ist ebenso wichtig und erfordert Kreativität. Letztlich geht es nicht um das richtige Ziel, sondern um den stimmigen Weg. Für diese Suchprozesse kann Beratung wichtige Impulse liefern.
Alarie, M. (2024). Family and consensual non-monogamy. Parents’ perceptions of benefits and challenges. Journal of Marriage and Family, 8, 494–512. https://doi.org/10.1111/jomf.12955
American Psychological Association. (2020). APA resolution on sexual orientation, gender identity (SOGI), parents and their children. Verfügbar unter:
Balzarini, R. N., Dharma, C., Kohut, T., Campbell, L., Lehmiller, J. J., Harman, J. J. & Holmes, B. M. (2019). Comparing relationship quality across different types of romantic partners in polyamorous and monogamous relationships. Archives of Sexual Behavior, 48, 1749–1767. https://doi.org/10.1007/s10508-019-1416-7
Borgogna, N. C., Aita, S. L. & Aita, L. J. (2021). Minority stress in consensually non-monogamous individuals. Mental health implications. Sexual and Relationship Therapy, 39, 46–65. https://doi.org/10.1080/14681994.2021.1959545
Boyd, J.-P. (2017). Polyamory in Canada: Research on an emerging family structure. Verfügbar unter https://prism.ucalgary.ca/server/api/core/bitstreams/35ed4238-928d-4637-88e3-d561ddd2cafa/content
Bricker, M. E. & Horne, S. G. (2007). Gay men in long-term relationships. The impact of monogamy and non-monogamy on relational health. Journal of Couple & Relationship Therapy, 6, 27–47. https://doi.org/10.1300/J398v06n04_02
Bröning, S. & Mazziotta, A. (in Vorb.). Die Liebe öffnen: Wege in die Polyamorie. Berlin: Springer.
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Prof. Dr. Sonja Bröning (sie/ihr) ist Entwicklungspsychologin und forscht zu aktuellen Einflüssen auf Partnerschaft, Liebe und Sexualität. Neben ihrer Arbeit als Wissenschaftlerin und Lehrende an der Medical School Hamburg ist sie in freier Praxis als Fortbildnerin, Mediatorin (BM) und systemische Paar-/Sexualtherapeutin (DGSF/DGfS) tätig. 2024 erschien ihr Buch Paarbeziehung im 21. Jahrhundert (Roesler/Bröning) im Kohlhammer-Verlag.
Rahel Korinth (sie/ihr) ist Sexualwissenschaftlerin und Sexualpädagogin. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Lehre und Forschung an der MSH Medical School Hamburg widmet sie sich der Vermittlung und Erforschung der Themen Diversität, Beziehungen und Sexualität. Darüber hinaus engagiert sie sich als Aktivistin für Bi+sexualität.
Prof. Dr. Agostino Mazziotta (er/ihn), Diplom-Psychologe und Master of Counseling in Ehe-, Familien und Lebensberatung (BAG), systemischer Sexualtherapeut (IGST) und Supervisor (DGSv), forscht zu (queeren) Liebesbeziehungen, Vorurteilen und Vergeben/Versöhnen. Neben seiner Arbeit als Professor für Diversität und Community Work an der FH Münster ist er in freier Praxis als Fortbilder, Beziehungs- und Sexualtherapeut sowie Supervisor tätig.